Meinung

Ein Brief an Nicht-Leser von RT

Liebe RT-Leser, der nun folgende Brief richtet sich nicht an Sie, denn Sie haben offenbar entschieden, sich nicht auf die Mainstreammedien zu verlassen, sondern darüber hinaus andere Quellen zu nutzen, also unter anderem RT.
Ein Brief an Nicht-Leser von RT© Screenshot neulandrebellen.de

Von Tom J. Wellbrock

Ich wende mich trotzdem direkt an Sie, weil ich Sie herzlich darum bitten möchte, mein kleines Schreiben an Menschen weiterzuleiten, die der Meinung sind, von den öffentlich-rechtlichen und vergleichbaren Medien umfassend und wahrheitsgemäß informiert zu werden. Sie sind es, die wir erreichen müssen, und ich weiß, dass Sie sich selbst damit womöglich in Schwierigkeiten bringen könnten, weil Sie diesen Brief zwar nicht verfasst haben, man aber auf den "Boten schießen" wird, also auf Sie. Schieben Sie alles auf mich ab!

Wenn Sie der Meinung sind, dass die Lektüre des folgenden Briefes ein kleines bisschen bewirken kann, würde ich mich freuen, wenn Sie ihn weiterleiten würden.

Vielen Dank!

Liebe Mediennutzer,

vielleicht kennen Sie das Asch-Experiment. Es besteht aus einer Gruppe von Versuchspersonen, denen eine vertikale Linie gezeigt wird. In einem geringen Abstand rechts daneben werden drei weitere Linien gezeigt, von denen eine die gleiche Länge wie die Referenzlinie hat. Die Teilnehmer der Gruppe werden gefragt, welche der Linien auf der rechten Seite der Länge der auf der linken Seite entspricht. Ihre Antworten sind identisch.

Der Punkt dabei: Eine der Versuchspersonen weiß nicht, dass die anderen zuvor eingeweiht wurden. Deren Aufgabe ist es, zunächst richtige Antworten zu geben, nach ein paar Durchgängen aber plötzlich die falsche Linie als richtig zu bezeichnen. Diese falsche Linie ist auf den ersten Blick und eindeutig nicht die mit der passenden Länge, die eingeweihten Probanden geben aber voller Überzeugung die falsche Antwort.

Die unwissende Versuchsperson steckt nun in der Klemme. Denn sie erkennt einerseits, dass die Antworten ihrer Mitstreiter falsch sind. Andererseits möchte sie aber nur ungern aus der Konformität der Gruppe heraustreten. Es gibt Menschen, die sich dieser Art des sozialen Drucks nicht beugen und sich von ihrer Wahrnehmung nicht abbringen lassen. Es gibt aber auch solche, die sich für die falsche Antwort entscheiden, weil sie innerhalb der Gruppe nicht auffallen wollen oder gar denken, dass mit ihrer Wahrnehmung etwas nicht stimmt.

Und was hat das mit Ihnen zu tun?

Sicher ahnen oder wissen Sie es bereits. Hier geht es um Gruppendruck, der von harmlos bis massiv erscheinen kann. Ich möchte Ihnen etwas über massiven Gruppendruck schreiben, einen Druck, der im Zusammenhang mit dem aktuellen Ukraine-Krieg aufgebaut wurde.

Womöglich stolpern Sie bereits über die Bezeichnung "aktueller Ukraine-Krieg". Gibt es denn noch einen anderen als den, über den täglich gesprochen und geschrieben wird? Ich werde Ihnen diese Frage jetzt beantworten, aber nicht in der dafür eigentlich nötigen Ausführlichkeit. Gleich erkläre ich auch, warum ich auf diese Langfassung der Antwort verzichte.

Zunächst: ja. Der aktuelle Krieg in der Ukraine ist nicht der Ausgangspunkt des großen Problems der Ukraine. Er ist schrecklich (alle Kriege sind schrecklich!), er muss beendet werden, er führt zu täglichen Toten und weiterem Leid, je länger er dauert. Aber er begann bereits 2014. Nun, das haben Sie vielleicht schon gehört oder gelesen. Doch vermutlich wurde Ihnen erzählt, dass die Russen schon damals die Ukraine angegriffen haben. Lassen Sie es mich so formulieren: Das ist falsch, es ist eine Lüge!

Was Sie ebenfalls täglich hören und lesen, ist, dass nur ein militärischer Gewinn der Ukraine eine Lösung darstellt. Weil im Falle eines russischen Gewinns Russland (Putin, natürlich Putin) mit seiner imperialen Politik fortfahren und weitere Länder überfallen würde, womöglich sogar Deutschland.

Sie hören und lesen sicher auch jeden Tag, dass in der Ukraine unsere Freiheit verteidigt wird, dass eine Niederlage der Ukraine auch eine Niederlage für uns, für Demokratie, für Menschenrechte und Freiheit bedeuten würde.

Ganz bestimmt hören und lesen Sie auch, dass mehr Waffen zu Frieden führen würden, dass an jedem Tag, an dem Deutschland keine Taurus-Raketen liefert, Menschen sterben.

Ich möchte im Zusammenhang mit diesen Behauptungen einige Fragen an Sie richten. Stattdessen könnte ich natürlich auch mit ein wenig Herablassung darüber referieren, was an den Behauptungen falsch ist, ich bin ziemlich tief drin im Thema, also wäre das möglich. Aber was würde es Ihnen bringen? Vermutlich nichts. Sie würden sich vielleicht bevormundet fühlen, Sie würden vielleicht denken, dass hier ein "Putin-Troll" spricht, der ohnehin aus Moskau bezahlt wird (was übrigens nicht der Fall ist). So etwas in der Art wäre möglich.

Folgende Fragen möchte ich Ihnen ans Herz legen:

1. Warum wurde der Ausbruch des Krieges nicht im Vorfeld verhindert?

2. Wie kann ein Krieg mit seiner stetigen Verlängerung durch Waffenlieferungen verkürzt werden?

3. Wie kann Russland (Putin) in andere Länder einmarschieren, wenn er es noch immer nicht geschafft hat, in der Ukraine zu siegen?

4. Warum wurde die Ukraine 2014 gezwungen, sich zwischen einer Partnerschaft mit Russland oder dem Westen zu entscheiden, wenn doch eine beiderseitige Kooperation ebenso denkbar gewesen wäre?

5. Warum wurde nach dem Regierungswechsel in der Ukraine 2014 die russische Sprache im Land fast unverzüglich verboten?

6. Warum war jener Regierungswechsel in der Ukraine illegitim (Stichwort: Putsch)?

7. Warum ist es bis heute nicht zu Verhandlungen gekommen, obwohl bereits im März nach aktuellem Kriegsausbruch eine Verhandlungslösung auf dem Tisch lag?

8. Warum wird die Aufklärung der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines in Deutschland nicht vorangetrieben?

9. Warum werden in Deutschland Menschen diffamiert, die sich für Friedensverhandlungen einsetzen?

10.Warum kennt unsere Außenministerin Annalena Baerbock (die Grünen) ausschließlich die Sprache der Eskalation, obwohl sie doch die Chefdiplomatin des Landes ist?

Es ist natürlich möglich, dass Ihnen nicht alle Fragen sinnvoll erscheinen oder Sie sie als unwichtig oder bereits beantwortet betrachten. Ich möchte Sie inständig bitten, davon nicht auszugehen, sondern sich stattdessen auf eine eigenverantwortliche Recherche zu begeben. Welche Medien Sie für diese Recherche nutzen, ist selbstverständlich Ihre Sache, aber meine Empfehlung wäre, ein möglichst breites Spektrum zu wählen, aus dem heraus Sie sich dann ein Bild machen können.

Abschließend möchte ich auf das Asch-Experiment zurückkommen. In diesem Experiment war es die Gruppe, die das Individuum dazu gebracht hat, von seiner Überzeugung Abstand zu nehmen. Was wir – und eben auch Sie – durch Politik und Medien erleben, ist vergleichbar mit dem genannten psychologischen Experiment. Allerdings kommt noch etwas hinzu.

Eine Gruppe einflussreicher und meinungsstarker Persönlichkeiten hat sich – abgesprochen oder nicht, das ist nicht relevant – entschieden, Ihnen einen Strich als den mit der richtigen Länge zu präsentieren, der sich bei näherem Hinschauen jedoch als kürzer oder länger erweist. Je länger Sie auf diesen Strich blicken und je mehr Menschen Ihnen attestieren, dass es sich um den richtigen handelt, desto eher sind Sie bereit, diese Täuschung zu akzeptieren.

Im Falle der Berichterstattung über die Ukraine kommt ein Aspekt hinzu, der es Ihnen endgültig verunmöglicht, vom Erzählten abzuweichen: Wiederholung. Zusätzlich zum Druck, einen falschen als den richtigen Strich einzuordnen, wird durch die ständige Wiederholung dieser Aufforderung Widerstand gewissermaßen zwecklos.

Zum Schluss möchte ich Sie ermuntern, meinen kleinen Brief kritisch zu betrachten und nach Fehlern oder Widersprüchen zu suchen. Kritische Medienkompetenz beginnt genau hier, bei diesem Brief. Wenn Sie Fehler entdecken oder Widersprüchliches erkennen, sprechen Sie darüber mit Ihnen vertrauten Menschen. Ich erhebe nicht den Anspruch, auf ganzer Linie richtigzuliegen.

Ich möchte Sie aber auch bitten, mit Ihrer kritischen Bewertung nicht bei diesem Brief aufzuhören, sondern – ganz im Gegenteil – jetzt erst richtig loszulegen. Denn das Interesse, die Neugier und das Erkennen neuer Perspektiven und Fakten sind eine zutiefst spannende Angelegenheit.

Und als kleinste Gemeinsamkeit können wir uns sicher darauf einigen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet werden muss.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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