Meinung

Das Erwachen aus dem Narrativschlaf: Notizen vom Rand der narrativen Matrix

Westliche Analysten warnten jahrelang davor, dass der Westen einen Krieg in der Ukraine provozieren würde. Dann marschierte Russland in die Ukraine ein – und jetzt bestätigen alle westlichen Analysten, dass dieser Krieg vor allem den Interessen der USA dient.
Das Erwachen aus dem Narrativschlaf: Notizen vom Rand der narrativen MatrixQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Jochen Eckel

Von Caitlin Johnstone

Das offizielle Narrativ ist, dass westliche Provokationen keine Rolle bei der Invasion in die Ukraine gespielt hätten. Aber wenn das stimmt, warum haben dann so viele westliche Experten Jahre damit verbracht, davor zu warnen, dass westliche Provokationen eine Invasion in die Ukraine provozieren würden?

In den Jahren vor der Invasion wurden die Menschen im Westen bombardiert mit medialer Panik über Russland, eine Nation, auf die seit Beginn der 1990er Jahre nicht mehr allzu viele Gedanken verschwendet wurden. Diese Narrative der Massenmedien hatten alle ihren Ursprung im US-Geheimdienstkartell, das nach dem Fall der Sowjetunion die Zerstörung der Russischen Föderation zum Ziel hatte.

Ach ja, und vergessen wir nicht die Pentagon-finanzierte RAND-Studie von 2019, die erläuterte, wie man die geostrategischen Interessen der USA voranbringen könne, indem Russland zur Überdehnung provoziert wird, etwa in Gebieten wie der Ukraine. Und jetzt prahlen westliche Imperialisten fröhlich damit, dass dieser Krieg benutzt wird, um langjährige strategische Interessen der USA voranzutreiben.

Aber denken sie daran: Es ist sehr wichtig zu glauben, dass Putin völlig unprovoziert in die Ukraine einmarschiert ist, weil er nämlich so böse ist und die Freiheit hasst, ein neuer "verrückter Hitler" ist er. Es kann unmöglich sein, dass unser US-Imperium tat, was es immer tut, um seine geostrategischen Interessen mit finsteren Mitteln voranzutreiben, nachdem es den Weg mit der Propaganda der Massenmedien geebnet und Moskau gezwungen hatte, zwischen zwei schlechten Optionen zu wählen.

Weil Putin so böse ist, bedeutet das also, dass die USA und ihre Verbündeten notwendigerweise die Guten sein müssen. Wir wissen das ganz sicher, weil wir unser ganzes Leben von Hollywood darin konditioniert wurden, in jedem Konflikt nach den Guten und den Bösen zu suchen. Wenn also jemand etwas Schlechtes tut, dann muss die andere Seite etwas Gutes tun. Und während wir alle damit beschäftigt sind, diese alberne Trickfilm-Version unserer Realität zu beklatschen, sagen Experten, der Ukraine-Konflikt habe unsere Welt einem größeren Risiko eines Atomkriegs ausgesetzt hat als jemals zuvor, einschließlich während der Kubakrise. Die ganze Welt wird durch diese unipolare Machtübernahme bedroht, die von unseren Herrschern orchestriert wird. Das Einzige, was verhindert, dass dies für alle offensichtlich wird, ist die massive Propaganda, mit der unsere gesamte Zivilisation seit langem vor der Krise aggressiv bombardiert wird.

Es ist immer gut und auch legitim, die bestens dokumentierten Aggressionen der mächtigsten Regierung dieser Welt zu kritisieren, wo immer sie stattfinden, immer, immer und immer wieder. Dafür bedarf es keiner Rechtfertigung. Wenn einige Leute dich dafür als Kasper oder als russischen Propagandisten ansehen, dann liegt das vielmehr daran, dass deren Position ist und ihre Argumente ein Dreck wert sind.

Alle paar Jahre bringt die Rechte einen Milliardär mit weitreichenden Verbindungen zum tiefen Staat der USA hervor, der sich als populistischer Held ausgibt, der gegen den tiefen Staat anzukämpfen vorgibt. Erst war es Donald Trump, jetzt ist es Elon Musk. Später wird es wieder jemand anderes sein. Aber das ist alles nur eine Show, um es so aussehen zu lassen, als würde jemand für uns kämpfen.

Sowohl Trump als auch Musk reizen dann die gegnerische Mainstream-Fraktion, sie anzukläffen und anzuknurren, genauso wie Hillary Clinton einst die Republikaner fast in den Wahnsinn getrieben hatte. In Wirklichkeit dienen Musk, Trump und Clinton alle demselben Establishment, das sowohl von der Demokratischen als auch von der Republikanischen Partei verteidigt wird. Es ist alles nur ein Schattenboxen, so inszeniert, dass es aussieht, als würde jemand in den Kampf ziehen für die armen, desillusionierten US-Bürger, die über die völlige Gleichgültigkeit ihrer Herrscher ihnen gegenüber immer wütender werden. Man zeige diesen Menschen eine Heldenfigur, die sie beklatschen können, und sie werden wenigstens nicht selbst den Kampf aufnehmen.

Alle dazu zu bringen, solchen glänzenden Galionsfiguren anzustarren, die eine bestimmte Mainstream-Fraktion repräsentieren, fesselt die Leute so oder so an die Mainstream-Fraktionen, die für oder gegen diese Galionsfiguren entworfen wurden. Dadurch bleiben alle dem Mainstream treu. So kontrolliert man nicht nur die Opposition, sondern kontrolliert damit auch die Opposition gegen die kontrollierte Opposition. Das sind die angeblich Progressiven vom Typ Bernie Sanders oder auch die Tucker Carlson- und Elon Musk-Fraktion. Sie alle tun so, als würden sie das Establishment bekämpfen, während auch sie es gewollt oder ungewollt beschützen.

Es ist tatsächlich nicht übertrieben, dieses Mainstream-Weltbild mit der virtuellen Welt zu vergleichen, wie sie im Film "Matrix" dargestellt wird. Der einzige Unterschied besteht darin, dass es psychopathische Oligarchen und im Geheimen agierende Regierungsbehörden sind, die uns statt mit künstlicher Intelligenz und Programmcode durch Narrative gefangen halten. Nur wenige verstehen wirklich, wie tiefgreifend unsere Zivilisation von solchen Erzählungen dominiert wird, wie unsere gesamte Kultur, unsere Überzeugungen, die politischen und wirtschaftlichen Systeme vollständig aus erfundenen Geschichten bestehen, von denen wir alle meine, dass sie real wären.

Es sind Berge aufgetürmter Erzählungen, die auf unseren tief verankerten biologischen Bedürfnissen aufgebaut wurden. Die Erfahrung jedes Einzelnen wird ebenfalls von solchen Narrativen bestimmt. Wenn man jemals versucht hat zu meditieren, dann weiß man, wie der Geist ständig labert und umherirrt, selbst wenn man versucht, ihn für eine Minute zum Innehalten zu bringen. Und dieses ganze Geschwätz besteht aus mentalen Geschichten über das Leben, die gar keine konkrete Realität haben. Sogar die Vorstellung von sich selbst besteht aus einer Erzählung. Nicht nur die eigene Geschichte darüber, wer und wie man ist, sondern die tatsächliche Existenz des "Selbst", das vom Rest des Lebens getrennt und trennbar ist. Es besteht alles aus eingebildeten gedanklichen Geschichtchen, die in der Realität eine völlige Illusion sind.

Weil das menschliche Leben sowohl kollektiv als auch individuell dermaßen von Narrativen dominiert wird, kann jeder, der diese Erzählungen geschickt manipuliert, damit auch die Menschen selbst manipulieren. Der kann dann manipulieren, wie wir denken, sprechen, handeln, einkaufen und abstimmen, sowohl als Individuum und auch als Gesellschaft.

Und sie tun es auch.

Die Macht hat die Kontrolle darüber, was passiert. Wirkliche Macht kontrolliert, was die Leute darüber denken, was gerade passiert. Unsere Herrscher tun dies, indem sie massiven Einfluss auf die Nachrichtenmedien, auf Hollywood, das Silicon Valley, die Denkfabriken, die angeblichen "NGOs" und andere Systeme der narrativen Manipulation ausüben.

Sie manipulieren natürlich, um Kriege zu beginnen und zu gewinnen und auch, um andere groß angelegte Pläne zu verwirklichen. Aber ihre narrative Kontrolle geht noch viel tiefer als das. Der Großteil davon besteht aus alltäglichen Manipulationen, die eine Normalisierung des momentanen Systems herbeiführen und uns glauben machen, dieser Wahnsinn sei Vernunft. Sie manipulieren uns so, dass wir denken, dass Armut normal ist, dass unser Wirtschaftssystem der einzige Weg sei und dass Militarismus gut und vollkommen gesund ist. Und sie erwarten von uns, dass wir weiterhin politische Systeme wählen, die nichts grundlegend ändern werden, egal wen wir wählen, weil es angeblich sowieso keine andere Option gibt.

Sie belügen uns nicht nur darüber, was passiert – sie belügen uns auch darüber, wer wir sind, darüber, was wir wertschätzen und woran wir unsere Erfolge und Misserfolge als Individuen messen sollten. Wir sind von Geburt an mit diesen Märchen gefüttert, und sie alle dienen dazu, über uns herrschen.

Auf diese Weise bleiben wir versklavt: das Denken, Sprechen, Bewegen, Arbeiten, Ausgeben, Wählen und Verhalten in perfekter Übereinstimmung mit den Wünschen der Mächtigen zu vollziehen. Wir im Westen denken, wir wären frei, weil wir tun können, was wir wollen. Aber wir erkennen nicht, dass unsere Herrscher genau das kontrollieren, was wir dann "selbst" tun wollen. Wir begreifen nicht, wie zutiefst unfrei wir tatsächlich sind, weil ein weiterer Hauptzweck der narrativen Matrix darin besteht, uns glauben zu machen, wir seien frei. In Wirklichkeit sind wir nicht freier, als wir es wären, wenn wir in einem Bottich im Koma liegen würden und nur unser Gehirn mit einer digitalen Welt verbunden wäre.

Das Erwachen aus der narrativen Matrix ist nicht einfach. Es braucht harte Arbeit. Und genau wie in dem bekannten Film beginnt der Weg durch diesen Irrgarten mit einer Entscheidung. Diese Wahl – die "rote Pille" –, bedeutet, sich einer aufrichtigen Hingabe zu verpflichten – egal was auch kommen mag –, und zwar in der Wahrheit, der wahren Welt zu leben. Selbst wenn die Wahrheit unbequem ist, selbst wenn die Wahrheit gegen die eigenen Vorurteile und parteiische Loyalität verstößt. Selbst wenn das bedeutet zu erkennen, dass alles, woran man bisher glaubte, eine Lüge ist.Es braucht Zeit und Mühe, die Lügen aus der eigenen Wahrnehmung zu extrahieren, weil man diese Lügen ein ganzes Leben lang konsumiert hat. Es braucht Aufrichtigkeit. Es braucht Selbstaufrichtigkeit. Es braucht die Bereitschaft, an Orte zu gehen, an die man lieber nicht gehen würde. Und selbst wenn man denkt, dass man es geschafft hat, hat man es wahrscheinlich nicht.

Sich selbst aus der narrativen Matrix zu befreien, ist ein Weg durch einen Irrgarten, der nie endet. Man räumt einen Haufen Lügen weg, nur um auf einen weiteren Berg zu stoßen. Man wird klarsichtig für die eigenen Wahnvorstellungen über die äußere Welt und entdeckt eine ganze Dimension von Wahnvorstellungen noch in der eigenen, inneren Welt. Es geht immer weiter und weiter. Aber je klarer die Dinge werden, desto schneller und heiterer geht es voran. Je deutlicher man sich über die falschen Narrative von der Welt im Klaren wird, desto effektiver kann man anderen helfen, diese zu erkennen. Je klarer man sich über die falschen Geschichten von sich selbst wird, desto glücklicher und effektiver wird man auch für sich selbst.

Erst dann ist man bereit zu kämpfen. Man erwacht weit genug aus der narrativen Matrix, um sie ganz abzustreifen und auch andere aufrütteln zu können.

Und natürlich wird ein "Agent Smith" erscheinen, um zu versuchen, uns aufzuhalten. Er wird überall dort auftauchen, wo wir versuchen, Licht auf Dinge zu werfen, die verborgen bleiben sollen. Er wird als Fremder im Internet auftauchen oder er wird unter den Freunden und in der Familie sein. Er wird auch in uns selbst auftauchen und versuchen, uns davon abzubringen, Dinge von uns selbst zu hinterfragen, die nur im Unterbewusstsein schlummern.

Aber auch "Agent Smith" ist nicht unbesiegbar, absolut. Jeder positiven Veränderung im menschlichen Verhalten, ob individuell oder kollektiv, geht immer eine Bewusstseinserweiterung voraus. Und das ist alles, was wir hier tun müssen: Das Bewusstsein schaffen und erweitern, das Unsichtbare sichtbar machen – nur das ist der Weg. Genau wie im Film "Matrix" wird es Kräfte innerhalb und außerhalb geben, die den Status quo mit seiner Dunkelheit und Unkenntnis aufrechterhalten wollen. Aber das Verborgene kann nicht für immer verborgen werden. "So sicher, wie Gott Schwarz und Weiß gemacht hat, wird das, was im Dunkeln getan wird, ans Licht gebracht."

Wir sind wirklich nur eine junge Spezies, die derzeit eine unangenehme und verwirrende Übergangsphase durchläuft, während wir noch lernen, unsere neu entwickelten Gehirne reifer zu nutzen. Unsere Verwirrung wird in der Zwischenzeit von ein paar cleveren Mitmenschen schamlos ausgenutzt, weil sie die Manipulation besser verstehen als der Rest von uns. Wir sind auf dem Weg, eine reife und bewusste Spezies zu werden, und wenn das vollzogen sein wird, werden die Manipulatoren keine Macht mehr haben, weil sie nicht mehr über diese Weiten des menschlichem Unterbewusstsein verfügen können, in denen sie bisher auf die Jagd gehen. Sie werden wie Haie an einem Sandstrand verenden.

Wir können dazu beitragen, all dies voranzutreiben, indem wir diese "rote Pille" wählen, indem wir uns aufrichtig dazu verpflichten, der Wahrheit treu zu bleiben, komme was wolle, und dann die anderen erwecken, damit wir unsere Unterdrücker stürzen und gemeinsam eine bessere Welt aufbauen können.

Übersetzt aus dem Englischen.

Caitlin Johnstone ist eine unabhängige Journalistin aus Melbourne, Australien. Ihre Arbeit lebt vollständig von der Leserunterstützung. Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, erwägen Sie bitte, ihn zu teilen. Man kann Johnstone auf Facebook, Twitter, SoundCloud oder Youtube folgen.

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