Meinung

Treffen der G7-Außenminister: Der Berg kreißte

Das war einmal ein bedeutendes Treffen. Da saßen sie beieinander und bestimmten, welche Länder sie zerstören wollten, welche Regierungen zu stürzen seien, und die Welt fürchtete sich. Aber kaum etwas ist lächerlicher als Rituale vergangener Macht.
Treffen der G7-Außenminister: Der Berg kreißteQuelle: www.globallookpress.com © Soeren Stache

Von Dagmar Henn

Die Außenminister der G7 treffen sich in Japan und gönnten sich eine lange Erklärung. Eine Erklärung, die belegt, dass die Veränderungen des letzten Jahres in dieser Gruppe noch nicht angekommen sind. Die G7 sind nicht mehr der Nabel der Welt und schon längst nicht mehr die Staatengruppe, die allen anderen vorschreiben kann, wie sie sich zu verhalten haben.

Das Ministerium von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat die Erklärung bisher nicht einmal veröffentlicht; es hinkt der Wirklichkeit noch um zwei Tage hinterher, die neueste Meldung betrifft den Aufbruch der Ministerin nach China. Aber das französische Außenministerium ist so freundlich, den offiziellen Text der Erklärung komplett und sogar auf Englisch zu veröffentlichen. Nicht, dass die Lektüre Vergnügen bereitet; es ist ein zähes und langes Dokument, das vor allem betonen will, man sei für alles zuständig und habe jedermann Ratschläge oder Ermahnungen zu erteilen.

"Wir, die G7-Außenminister aus Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten von Amerika, und der Hohe Vertreter der Europäischen Union, unterstreichen unser starkes Gefühl der Einheit, während die Welt sich durch ernste Bedrohungen des internationalen Systems bewegt, einschließlich Russlands fortgesetzten Aggressionskrieg gegen die Ukraine." Getragen und fundamental unehrlich seitens der Vertreter jener Gruppe von Staaten, die der Welt mit ihren Sanktionsorgien einen guten Teil besagter Bedrohung geschenkt haben, von der Vorgeschichte in der Ukraine ganz zu schweigen. "Wir werden weiter mit unseren Partnern arbeiten, um offene, transparente, resiliente und nachhaltige Gesellschaften zu fördern, die für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Würde eintreten und sich um die Nöte der Verwundbarsten kümmern."

Und schon geht es zum Thema Ukraine: "Russland muss alle Truppen und Ausrüstung sofort und bedingungslos aus der Ukraine abziehen." Irgendwann, eines schönen Tages, begreifen sie vielleicht, dass man Suppen, die man sich einbrockt, auch auslöffeln muss, und dass der fundamentale Nachteil, wenn man sich angebotenen Verhandlungslösungen verweigert, darin besteht, dass Kriege auf dem Schlachtfeld entschieden werden, auf dem der ganze Trupp der G7 nicht viel zu bieten hat. Daran würden auch weitere zehn Sanktionspakete nichts ändern.

Aber Einsicht ist nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil, – man versucht, selbstverständlich unter Umgehung der eigenen Beteiligung, völlig neue Vorstellungen zu verbreiten: "Jede Lösung des Konflikts muss sicherstellen, dass Russland für den Schaden zahlt, den es verursacht hat."

Sie haben Humor, diese Außenminister. Mal abgesehen von der Illusion, dass die Verlierer den Siegern Lasten auferlegen können – haben sie, ehe sie diese niedlichen Sätze schrieben, einmal nachgedacht, wie die Rechnung für die Vereinigten Staaten aussähe? Lassen wir mal die ganzen neueren Ruinenfelder beiseite, nehmen wir nur den Vietnamkrieg, der immerhin schon fast vierzig Jahre vorüber ist. Da reden wir von einem gigantischen Kriegsverbrechen, der gezielten Vergiftung Hunderttausender Menschen durch das Entlaubungsmittel Agent Orange – "Es darf keine Straflosigkeit für Kriegsverbrechen und andere Gräueltaten geben (...)"?

Nun denn, liebe G7, die vietnamesische Regierung ist sicher gerne bereit, eine vorläufige Rechnung aufzumachen; die Vereinigten Staaten könnten sofort ihre Hingabe für die Etablierung dieser neuen Regel beweisen, indem sie ein paar, sagen wir mal, Billionen US-Dollar, auf den Tisch legen. Danach könnte man sich langsam die Liste weiter voranrobben. Nicaragua würde sich sicher ebenfalls über eine entsprechende Leistung freuen. Leider waren die USA so aktiv in diesem Geschäft, dass sie nie auch nur in die Nähe von Afghanistan oder Syrien kämen, ehe sie bankrott sind. Aber das sollte es doch wert sein, wenn man danach mit dem Finger auf Russland zeigen kann, ohne sich völlig lächerlich zu machen.

"Russlands Gebrauch von Nahrung und Energieressourcen als Waffe hat wirtschaftliche Verwundbarkeiten verstärkt, bereits ernste humanitäre Krisen verschlimmert und die globale Nahrungs- und Energieunsicherheit eskaliert. Wir werden weiter Hilfe leisten, einschließlich Nahrungsmittelhilfe, um den betroffenen Ländern und Bevölkerungen zu helfen."

Das klingt definitiv danach, dass der UNCTAD-Bericht, nach dem die Hälfte der Nahrungspreisinflation auf Spekulation zurückgeht, in diesen Kreisen nicht gelesen wurde. Aber sie nehmen ja nicht einmal ihre eigenen Sanktionen wahr, die ganz besonders zur Energieunsicherheit beigetragen haben. Nun, es sind eben die G7. Ein Haufen unbelehrbarer Kolonialmächte, die, ganz nebenbei, ihre tatsächlichen Lebensmittelhilfen im vergangenen Jahr heruntergefahren haben. Der Krieg in der Ukraine will schließlich bezahlt sein.

Freier und offener Indopazifik, das ist die erforderliche Camouflage des allgemein Guten und Schönen für die Einmischung in einer Weltgegend, die von der ganzen G7-Truppe allerhöchstens Japan etwas anginge. Die Staaten in dieser Gegend sind weder klein noch derart unterentwickelt, dass sie unbedingt die G7 bräuchten, um ihnen eine Richtung vorzugeben. Indien, Malaysia, Indonesien ...

China? "Wir wiederholen unseren Aufruf an China, als verantwortliches Mitglied der internationalen Gemeinschaft zu handeln." Da ist wieder dieses Wort, mit dem sie immer so tun, als wären sie die Welt. Die internationale Gemeinschaft. Nein, China wird sich von diesen 15 Prozent der Welt nicht vorgeben lassen, was es darf und was nicht. "Wir stellen uns deutlich gegen jeden einseitigen Versuch, den Status quo durch Gewalt oder Zwang zu ändern." Jahrzehntelang gab es eine langsame, friedliche Entwicklung einer Annäherung zwischen Taiwan und der Volksrepublik, bis der Westen entdeckte, China "einhegen" zu müssen, und anfing, in Taiwan "Unabhängigkeitsbestrebungen" zu fördern. "Wir betonen erneut die Bedeutung von Frieden und Stabilität in der Straße von Taiwan als unverzichtbares Element von Sicherheit und Wohlstand in der internationalen Gemeinschaft und rufen zur friedlichen Lösung von Fragen über diese Straße hinweg auf."

Weiter geht es. Die Liste der Länder, die ermahnt und gerügt werden, hätte man vorab blind verfassen können. Nordkorea. Myanmar. Afghanistan. Iran. Jemen wird erwähnt, aber das Thema wurde ganz ohne die G7 gelöst, so wie Syrien ebenfalls; trotzdem wird noch einmal betont, wie gerne man sich einmischen würde. Und dann gönnt man sich eine ordentliche Portion Zynismus: "Wir stehen solidarisch mit den Völkern der Türkei und Syriens, die von den schrecklichen Erdbeben im Februar betroffen sind und planen, unsere Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen fortzusetzen." Sagen die Außenminister jener Länder, die sich weigerten, die Sanktionen gegen Syrien wegen des Erdbebens auch nur vorübergehend auszusetzen. Nun, es sind eben die G7.

Zentralasien? Alles gegen Russland. G7-Afrika-Partnerschaft? Die bösen Wagner-Truppen ... Lateinamerika und Karibik? Venezuela ist natürlich nach wie vor böse, nur Juan Guaidó hat man unterwegs irgendwann verloren. Haiti will man gern weiter ruinieren. Und in Nicaragua wird die Zivilgesellschaft unterdrückt.

Die Pläne, die Regeln des UN-Sicherheitsrats zu ändern, werden weiter verfolgt. Und China soll natürlich sein Nukleararsenal nicht modernisieren. Alles wie gehabt; es ist eine überteuerte, überflüssige Variante von Dinner for One. Und natürlich wird der Anspruch betont, die Kontrolle über die Information zu behalten, die den eigenen Bevölkerungen zugänglich ist. Ein ganzer Absatz ist der "Desinformation" gewidmet, "die darauf zielt, unsere demokratischen Prozesse zu unterbrechen, unsere Gesellschaften zu destabilisieren, unsere Völker zu gefährden und unsere Institutionen und gemeinsamen Werte zu untergraben". Jeder weiß, wie dieser Satz zu lesen ist. Und die Buchstabenliste ist wieder etwas länger geworden: "Wir bestätigen die fortgesetzte globale Führung der G7 bei der Geschlechtergleichheit und der Förderung und dem Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen in all ihrer Diversität wie auch von LGBTQIA+-Personen." In Afrika wird man das sicher mit Begeisterung hören.

Ach, nicht zu vergessen das Lieblingszitat der Westpresse: "Wir wiederholen unseren Aufruf an Dritte, Russlands Krieg nicht zu unterstützen oder ernste Kosten zu tragen."

Es ist ein Jahr vergangen, in dem sich in der Welt vieles geändert hat. Man sollte erwarten, dass sich die versammelten westlichen Außenminister Gedanken machen, wie sie aus der Ecke wieder herauskommen, in die sie sich hineinmanövriert haben; vielleicht sogar, wie diese Kernländer des Westens mit einer Welt zurechtkommen können, in der sie nicht mehr das Sagen haben. Aber wenn diese Erklärung eines belegt, dann das völlige Fehlen jeglicher Lernfähigkeit. Was in diesem Fall nicht das alleinige Verschulden von Annalena Baerbock sein kann.

Gut vorstellbar, dass selbst im nächsten Jahr noch ein Papier dieser Art produziert wird. Doch während die Drohungen, die darin geäußert werden, vor wenigen Jahren noch Schrecken auslösten, sind sie heuer schlicht nicht mehr relevant, und noch ein Jahr weiter wird man sie in den 85 Prozent der Welt vermutlich vortragen, wenn etwas zur Belustigung gebraucht wird. Eine Sache jedenfalls wird mit diesem Dokument überdeutlich: Wenn ein Imperium nicht mehr im Stande ist, Veränderungen überhaupt noch wahrzunehmen, dann ist seine Zeit in jeder Hinsicht abgelaufen.

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