Meinung

Ich. Wir. Der Souverän?

Wir müssen etwas klären. Etwas Grundsätzliches. Es geht um die Demokratie, um die repräsentative Demokratie. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob sie eine gute Lösung ist, auch darüber, wie sie in der Vergangenheit praktiziert wurde. Offenkundig aber ist: Es gibt sie nicht mehr.
Ich. Wir. Der Souverän?Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/RUEDIGER WOELK

Von Tom J. Wellbrock

In bestimmten Bereichen ist die repräsentative Demokratie sicher eine gute Idee. Bei der Frage, ob man einen Zebrastreifen in Castrop-Rauxel baut oder nicht, wäre die Befragung des kompletten Volkes wohl eher hinderlich und würde die Sache ganz bestimmt nicht beschleunigen. Zumal haufenweise Leute keine Lust hätten, sich an diesem Entscheidungsprozess zu beteiligen, und die, die in einer anderen Stadt leben, hätten dazu auch jedes Recht.

Aber es gibt eben auch andere Fragen, die alle betreffen. Ob man sich – in welcher Form auch immer – an einem Krieg beteiligt, ist definitiv eine dieser Fragen. Doch sie wird mir, uns, dem Souverän, einfach nicht gestellt. Und das hat Folgen, die gravierend und nicht im Sinne des Souveräns sind.

"Wollt Ihr den globalen Krieg?"

Es war natürlich pure Rhetorik, als Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast die Menge fragte:

"Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?"

Und Goebbels wollte noch mehr wissen:

"Ich frage euch neuntens: Billigt ihr, wenn nötig, die radikalsten Maßnahmen gegen einen kleinen Kreis von Drückebergern und Schiebern, die mitten im Kriege Frieden spielen und die Not des Volkes zu eigensüchtigen Zwecken ausnutzen wollen? Seid Ihr damit einverstanden, dass, wer sich am Krieg vergeht, den Kopf verliert?"

Gleichstellungen zwischen damals und heute sind nicht zulässig, Vergleiche schon. Denn – ich habe das an anderer Stelle schon häufig gesagt – Vergleiche dienen dem Erkennen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Insofern ist es zum Beispiel sinnvoll, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, selbst wenn der Volksmund sagt, das ginge nicht. Am Ende bleiben zahlreiche Unterschiede, doch eben auch eine Gemeinsamkeit: Äpfel und Birnen sind Obst.

Was bei einem Vergleich zwischen Goebbels' Rhetorik und der heutigen Kommunikation zunächst auffällt, ist die Tatsache, dass heute keine Fragen – nicht einmal rhetorischer Natur – gestellt werden. Aufrichtig wäre es, das Volk zu fragen, ob es den globalen Krieg will, denn es ist nicht zu leugnen, dass diese Gefahr besteht. Doch wir werden vor vollendete Tatsachen gestellt, die Eskalation, die mit dem 24. Februar 2022 begonnen hat, nimmt kein Ende.

Der Unterschied zu damals ist eindeutig der, dass die, die Goebbels "Drückeberger und Schieber" nannte, heute nicht den Kopf verlieren. Doch den Job kann es kosten, sich gegen den Krieg zu stellen, die gesellschaftliche Stellung und die Reputation. Erinnern Sie sich bitte an das Prinzip des Vergleichs: Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, ist das Ziel.

Wer nicht fragt, bleibt dumm

Wie sagte Sahra Wagenknecht vor nicht allzu langer Zeit im Bundestag?

"Wir haben die dümmste Regierung in Europa!"

Lassen wir einmal offen, ob es Dummheit, Folgsamkeit oder der vermeintliche "große Plan" ist, was unsere Bundesregierung antreibt. In jedem Fall fragt sie nicht, sie stellt die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen und ignoriert nicht nur die Ängste der Menschen, sondern auch die Folgen ihres Handelns. Sie legt uns Fesseln an, um uns dann einen Becher Wasser zu reichen, damit wir etwas trinken können. Ohne die Fessel könnten wir den Becher aber selbst benutzen.

Auf einer Internetseite für Kinder namens HanisauLand.de steht unter dem Titel "Das Volk ist der Souverän":

"Mit 'Souverän' bezeichnet man den unumschränkten Herrscher eines Landes. Früher waren das Kaiser und Könige. In den modernen Demokratien ist es das Volk, von dem alle Macht im Staat ausgeht. Deshalb heißt es bei uns nach Wahlen, wenn eine neue Regierung gewählt wurde: Der Souverän hat entschieden."

Da diese Webseite unter anderem von der "Bundeszentrale für politische Bildung" unterstützt wird, kann die Botschaft nicht überraschen: Der Souverän ist einzig dafür da, die Regierung zu wählen, dann hat er gesprochen. Alles, was zwischen zwei Wahlen passiert, wäre dann also nicht mehr seine Sache.

Da ist rein juristisch betrachtet etwas dran. Und genau diese Problematik verschafft der Politik immer wieder die Möglichkeit, am Wähler vorbeizuagieren. Das Grundgesetz regelt in Artikel 29 ein sogenanntes "Volksbegehren zur Neugliederung des Bundesgebietes". Darüber hinaus sind Volksabstimmungen und Volksbefragungen möglich, allerdings ist das alles sehr sperrig und auf vielfache Art der Interpretation ausgesetzt. Dennoch gäbe es für die gewillte Politik einen einfachen Weg, die Meinung des Volkes in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Die aus der fehlenden Fragestellung resultierende Dummheit hat also Methode.

Ein Referendum, ein Referendum!

Wie man es auch dreht und wendet, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Theoretisch. Faktisch geht vom Volke eher Ohnmacht und Hilflosigkeit aus. Man denke nur an die Corona-Episode zurück, in der die ganze Bevölkerung unter Vormundschaft gestellt wurde, und das von "Eltern", die sich längst als völlig unqualifiziert erwiesen haben. Es spricht übrigens für eine ganz bestimmte Klasse von Eltern, wenn sie es kategorisch ablehnen, sich selbst zu hinterfragen und die Schuld grundsätzlich beim Nachwuchs suchen. Jeder weiß, dass Eltern Fehler machen, aber dieses Wissen ist sinnlos, wenn die Eltern selbst es nicht zulassen.

Stattdessen müssen wir lernen, dass es keinen Grund gibt, die Menschen um Verzeihung zu bitten, die drei Jahre lang unterdrückt, gequält, verfolgt, diffamiert und Hexen gleich auf symbolischen Scheiterhaufen verbrannt wurden. Von wem also geht die Staatsgewalt aus?

Aber kommen wir zur Idee von Referenden. Ein solches wäre eine einfache und effektive Methode, um die Politik erfahren zu lassen, was das Volk denkt. Wie eingangs erwähnt, ist die Frage nach einer Kriegsbeteiligung nicht trivial, und das Volk hat alles Recht der Welt, auf diese Entscheidung direkten Einfluss zu nehmen. Ein solches Referendum setzt voraus, dass die politischen Entscheider in einem konkreten Fall – hier: Kriegsbeteiligung – an die Bevölkerung herantreten und nach ihrer Meinung fragen. Die Regierung muss sich also – ganz schlicht ausgedrückt – für die Meinung des Volkes interessieren. Formell ist das eine Hürde, die leicht zu überwinden sein sollte, allemal leichter als Volksbefragungen, Volksentscheidungen und Volksabstimmungen das können, weil die Verfahren und Voraussetzungen komplexer sind.

Es scheint aber unter den Bürgern überhaupt kein Bewusstsein, kein Verlangen mehr nach der eigenen Souveränität zu geben. Der größte Teil der Menschen ist gegen Waffenlieferungen, und auch die Schussfahrt gegen die Wand der Energieversorgung passt den meisten naturgemäß nicht. Während Goebbels zumindest noch den (falschen) Eindruck erweckte, die Menschen zu "fragen", ob sie den "totalen Krieg" wollen, lassen unsere politischen Führungen das gleich ganz weg. Wobei man anmerken muss, dass Goebbels zum Zeitpunkt seiner Rede zumindest die Zustimmung derer hatte, die ihm live auf seine Fragen antworten konnten.

Dass unsere Bundesregierung die Zustimmung für ihre Politik durch die Bevölkerung erhalten könnte, scheint dagegen mehr als unwahrscheinlich. Ein Referendum kommt daher natürlich nicht in Frage, aber man muss das laut aussprechen: Der Wille des Volkes ist der Regierung egal, er interessiert sie nicht, und sie ist bereit, für ihre eigenen Ziele alles aufs Spiel zu setzen, was dieses Land einmal ausgemacht hat.

Uns muss also klar sein: Hier werden Entscheidungen getroffen, die nicht in unserem Sinne sind. Hier werden Entscheidungen getroffen, die das globale Gleichgewicht erheblich ins Wanken bringen und zu fatalen und tödlichen Auswirkungen führen können. Hier werden Entscheidungen getroffen, die weder dem Wohl der Bevölkerung dienen noch Schaden von ihm abwenden. Hier wird also auf ganzer Linie gegen das Volk Politik gemacht.

Und während in der Corona-Episode eine Minderheit ungeimpfter Menschen für eine theoretische gesundheitliche Krise zu Unrecht verantwortlich gemacht wurde, ist es jetzt genau andersherum: Die Mehrheit muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie die Schuld auf sich laden will, die sich aus der Duldung und Unterstützung einer destruktiven, gefährlichen und womöglich tödlichen Politik ergibt.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs "neulandrebellen".

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