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Die De-Dollarisierung im brasilianisch-chinesischen Handel wirft Fragen zu Lulas Strategie auf

Trotz Luiz Inácio Lula da Silvas Förderung der finanziellen Multipolarität auf unbestreitbare Kosten des Dollars ist er fest mit den herrschenden liberalen Globalisten der USA verbunden – insbesondere im innenpolitischen und soziokulturellen Sinne.
Die De-Dollarisierung im brasilianisch-chinesischen Handel wirft Fragen zu Lulas Strategie auf

Eine Analyse von Andrew Korybko

Brasilien und China haben vergangene Woche eine Vereinbarung getroffen, um ihren bilateralen Handel zu de-dollarisieren, was die finanziellen Prozesse der Multipolarität inmitten des globalen systemischen Übergangs beschleunigen wird. Der Zeitpunkt war jedoch merkwürdig, da Brasiliens Landwirtschaftsminister Carlos Fávaro am vergangenen Wochenende den Medien mitteilte, dass "alle Maßnahmen der Regierung verschoben werden", weil Lula seine geplante Reise nach China wegen einer Krankheit absagen musste. Obwohl er den Staatsbesuch auf den 11. bis 14. April verlegte, beschlossen beide Seiten, das Abkommen vergangene Woche zu unterzeichnen anstatt abzuwarten.

Darüber hinaus fand dies in derselben Woche statt, in der die USA ihren zweiten "Gipfel für Demokratie" veranstalteten, an dem Lula unter dem Vorwand seiner Krankheit nicht wie geplant per Videoschalte teilnehmen konnte. Trotzdem übermittelte er eine lange Erklärung, die gewisse Medien fälschlicherweise als "pro-russisch" bezeichneten – eine Einschätzung, die durch nachprüfbare Fakten aus offiziellen Quellen widerlegt werden kann. Russland wird in der Erklärung von Lula überhaupt nicht erwähnt, und sie liest sich tatsächlich wie ein Liebesbrief an die US-Demokraten.

Lulas ideologische Ausrichtung auf die Liberal-Globalisten der USA

Lula ist ideologisch mit den liberalen Globalisten fest verbunden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass er in seiner Erklärung implizierte, dass die brasilianische Opposition aus "Extremisten" bestehe, die "Desinformation" verurteilte – von der er andeutete, dass sich die Opposition dieser bedient, womöglich als Vorwand, um im Rahmen seiner von den USA unterstützten Kampagne zur Machtkonsolidierung in der nahen Zukunft möglicherweise mehr Zensur einzuführen – und zudem die "LGBTQIA+"-Gemeinschaft lobte.

Diese Agenden, die er in seiner Erklärung an den "Gipfel für Demokratie" vorangetrieben hat, stimmen auch mit den Anliegen überein, die der Finanzier von Farbrevolutionen, George Soros, weltweit aggressiv propagiert, und der Lula in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz vergangenen Februar begeistert unterstützte. Insbesondere der letzte Punkt in Bezug auf die "LGBTQIA+"-Gemeinschaft  widerspricht direkt Russlands offizieller Doktrin zur Unterstützung traditioneller moralischer Werte, wie sie im neuen außenpolitischen Konzept verkündet wurde, das hier nachgelesen werden kann.

Im achten Absatz dieses Konzepts warnt Russland, dass "die Auferlegung zerstörerischer neoliberaler ideologischer Einstellungen zu einer weit verbreiteten Form der Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten geworden ist, die traditionellen spirituellen und moralischen Werten zuwiderlaufen". Diese Passage rechtfertigt Russlands offizielle Absicht, traditionelle moralische Werte zu verteidigen, die ein Dutzend Mal erwähnt wurden, erklärt, warum Russland "LGBTQIA+"-Propaganda verboten hat, und fügt Präsident Putins Schlussfolgerung Kontext hinzu, dass die liberale Elite Pädophilie fördert.

Die US-Wahrnehmung der brasilianischen Finanzpolitik zur Multipolarität

Die soziokulturelle Dimension der Weltanschauung von Lula steht daher im Gegensatz zu jener Russlands, das er vermutlich ebenso wie seine linksliberalen Anhänger als "bigott" und "faschistisch" betrachtet. Dennoch teilen diese beiden BRICS-Staaten immer noch das gemeinsame Ziel der finanziellen Multipolarität, was die Entscheidung erklärt, den brasilianisch-chinesischen bilateralen Handel zu de-dollarisieren. Um auf diese Entwicklung zurückzukommen: Das Timing deutet darauf hin, dass Lula wollte, dass dies vergleichsweise leiser über die Bühne geht, als wenn er es ankündigt, während er zu Besuch in Peking ist.

Da es bereits vereinbart war, bestand die Herausforderung darin, die Wahrnehmung der USA zu steuern, da Lula nicht riskieren wollte, seine dortigen "Kämpfer für soziale Gerechtigkeit" wie Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders vor den Kopf zu stoßen, die er beide während seiner Reise nach Washington im Februar getroffen hat. Lula wollte auch vermeiden, seinen neuen Kumpel Biden zu beleidigen, nachdem die beiden in ihrer gemeinsamen Erklärung, die hier auf der offiziellen Webseite des Weißen Hauses nachzulesen ist, vereinbarten, die strategische Partnerschaft beider Länder umfassend zu stärken.

Zu diesem Zweck kam ihm seine Erkrankung insofern politisch gelegen, dass sie es ihm ermöglichte, seine geplante Reise nach Peking zu verschieben, damit diese nicht mit dem "Gipfel für Demokratie" der USA zusammenfällt, um anschließend die Unterzeichnung des Abkommens zur De-Dollarisierung in seiner Abwesenheit zu genehmigen, was vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit auf sich zog. Wie oben erläutert, wollte er sein Bestes tun, um die Wahrnehmung der USA in Bezug auf diese Entwicklung zu steuern.

Das Szenario des russisch-brasilianischen ideologischen Wettbewerbs in Afrika

So sehr seine Verbündeten in den Medien und die Speichellecker in den sozialen Medien etwas anderes behaupten, ist es dennoch sachlich falsch, Lula als Gegenpol zu den USA zu bezeichnen, wie seine zuvor zitierte Erklärung gegenüber den Gipfelteilnehmern der vergangenen Woche sowie jene gemeinsam mit Biden im Februar bewiesen haben. Trotz seiner Förderung der finanziellen Multipolarität auf unbestreitbare Kosten des Dollars ist er fest mit den herrschenden liberalen Globalisten der USA verbunden, insbesondere im innenpolitischen und soziokulturellen Sinne.

Die zitierte Erklärung beweist, dass Lula Bidens liberal-globalistische Mission teilt, in der beide ihre jeweilige Opposition als "Extremisten" delegitimieren, sich darauf vorbereiten, unter diesem Vorwand mehr Zensur einzuführen, und die Anliegen der "LGBTQIA+" in voller Zusammenarbeit zu propagieren.

Wie dem auch sei, Brasilien als Staat ist keine Bedrohung für Russland, aber seine potenzielle Unterstützung für "LGBTQIA+" in Absprache mit den USA könnte in Drittländern, in denen Moskau auch Interessen hat, wie im traditionell konservativen Afrika, eine unfreundliche asymmetrische Herausforderung darstellen. Russland und Brasilien könnten daher dort um die Herzen und Köpfe der Menschen konkurrieren, wobei Russland die Beschränkungen bei der "LGBTQIA+"-Propaganda verteidigt und Brasilien die Einheimischen dagegen aufhetzt.

Brasiliens geplanter Balanceakt zwischen China und den USA

In Bezug auf China wird jedoch nicht erwartet, dass Brasilien in irgendeiner Form mit Peking kollidieren oder konkurrieren wird, da Lula tatsächlich vorhat, sein Land zwischen China und den USA auszubalancieren. Einerseits ist China Brasiliens wichtigster Wirtschaftspartner und ein Verbündeter bei der Förderung des gemeinsamen Ziels der finanziellen Multipolarität. Andererseits sind die USA Brasiliens wichtigster Sicherheitspartner auf dem Kontinent und derzeit auch eine Inspirationsquelle für die brasilianischen Liberal-Globalisten, die sich an den regierenden US-Demokraten orientieren, was den Spagat erklären würde.

Das Lob von Außenminister Mauro Vieira für China in einem Interview mit dem brasilianischen Nachrichtenportal Metrópoles könnte so interpretiert werden, dass Brasilien die Möglichkeit sucht, ein Gleichgewicht zwischen dem US geführten kollektiven Westen, mit dem sich Lula politisch gegen Russland verbündet hat, und dem chinesischen Wirtschaftsmotor der chinesisch-russischen Verständigung. 

Unabhängig davon, wie erfolgreich sich dieser Ansatz erweist, sollten Beobachter beachten, dass Russland in Lulas großer Strategie keine herausragende Rolle spielen wird. Der Handel wird wahrscheinlich weiter wachsen, da er für beide Seiten von Vorteil ist, aber die politischen Beziehungen könnten sich bald verschlechtern, falls Lula zum Beispiel einen mutmaßlichen "russischen Spion" an die USA ausliefern lässt, damit dort Anklage gegen ihn erhoben werden kann, anstatt ihn zurück nach Russland abzuschieben. Die potenzielle Reise von Außenminister Sergei Lawrow nach Brasilien in diesem Monat wird sich wahrscheinlich auf dieses Thema konzentrieren und gleichzeitig die Möglichkeit prüfen, die wirtschaftlichen Beziehungen weiter auszubauen, insbesondere im Energiesektor, wie der Botschafter Brasiliens in Russland vorgeschlagen hat.

Die Entlarvung der "großen Lüge" der brasilianischen Linken

Lulas Ernennung der ehemaligen Präsidentin Dilma Rousseff zur Leiterin der Neuen Entwicklungsbank (NDB) der BRICS sollte daher im Zusammenhang mit der Förderung der Ziele der finanziellen Multipolarität Brasiliens interpretiert werden, anstatt irgendetwas mit Russland zu tun zu haben, wie es seine Medienverbündeten und die Speichellecker in Social Media es gerne darstellen. Die "große Lüge" der brasilianischen Linken und ihrer Unterstützer im Ausland ist, dass Lula pro-russisch sei, obwohl die Fakten beweisen, dass er im Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland politisch auf Seiten der USA steht.

Sie werden alles, was Lula tut, so drehen, um die Lüge aufrechtzuerhalten, dass er sich heimlich mit Russland gegen die USA verbündet hat, trotz der Fakten aus offiziellen Quellen, die diese buchstäbliche Verschwörungstheorie umfassend entlarven. Diese "politisch unbequeme" Tatsache darf niemals offen anerkannt werden, selbst in dem Szenario, dass Lula diesen mutmaßlichen Spion an die USA ausliefert, anstatt ihn zurück nach Russland abzuschieben, da diese Propagandisten befürchten, dass damit die Wahrheit über Lulas liberal-globalistisches Weltbild ans Licht kommen würde.

Ihrer Meinung nach muss die falsche Wahrnehmung über Lula als "multipolarer Revolutionär gegen die US-Hegemonie" um jeden Preis aufrechterhalten werden, damit die oben genannte Wahrheit über seine Weltanschauung nicht zu einer politischen Revolte an der Basis der Arbeiterpartei führt, was dazu führen könnte, dass Lula unter Druck gesetzt wird, seine "große Strategie" neu zu kalibrieren. Dies erklärt, warum das neueste Narrativ über "Desinformation" so aktiv vorangetrieben wird und fälschlicherweise behauptet wird, dass das Abkommen zur De-Dollarisierung bedeutet, dass Lula sich mit Russland verbündet hat.

Die Zukunft der russisch-brasilianischen Beziehungen

In Wirklichkeit wird Russland von Lula nur als Rohstoffpartner und als ein Land betrachtet, mit dem es bei der Verfolgung der gemeinsamen Ziele der finanziellen Multipolarität zusammenarbeiten kann. Lula ist entschieden gegen Russlands offizielle Verteidigung traditioneller moralischer Werte und insbesondere gegen die militärischen Schritte, die Moskau zur Verteidigung seiner roten Linien der nationalen Sicherheit in der Ukraine unternehmen musste, nachdem die NATO sie dort heimlich überschritten hatte. Lula wird das nie offen zugeben, aber er hält Russland aller Wahrscheinlichkeit nach für "bigott", "faschistisch" und "imperialistisch".

Trotzdem wird er, wie erläutert, in Fragen von gemeinsamem Interesse mit Moskau zusammenarbeiten, aber keine Seite kann sich darüber hinaus so aufeinander verlassen, wie Russland sich auf den BRICS-Partner Indien verlassen kann, von dem Lula wahrscheinlich auch glaubt, dass es von "Fanatikern" und "Faschisten" regiert wird, in Übereinstimmung mit seinem liberal-globalistischen Weltbild. Der russisch-brasilianischen Partnerschaft sind aufgrund der radikalen Ideologie des brasilianischen Führers künstliche Grenzen auferlegt, die alle ehrlichen Beobachter anerkennen müssen, wenn sie danach streben, seine "große Strategie für die Zukunft" genau zu analysieren.

Übersetzt aus dem Englischen

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich spezialisiert hat auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung.

Mehr zum Thema – Brasilien: Die Politik des Chaos

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