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Neuer Gerichtsbeschluss in London: Julian Assange soll an die USA ausgeliefert werden

Vor genau 13 Jahren veröffentlichte er Beweise für US-Kriegsverbrechen im Irak. Zuvor waren Journalisten dort jahrelang beliebtes Ziel von US-Angriffen gewesen. Aber das Verbrechen aufzudecken ist verwerflicher, als das Verbrechen zu begehen.
Neuer Gerichtsbeschluss in London: Julian Assange soll an die USA ausgeliefert werdenQuelle: www.globallookpress.com © Cesare Abbate

Eine Analyse von Maria Müller

Der seit mehreren Jahren im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehaltene Julian Assange soll nun doch an die USA ausgeliefert werden. Dort droht ihm eine Verurteilung von 174 Jahren nach dem Spionagegesetz, dem Gesetz über Cyber-Missbrauch sowie wegen Landesverrats.

Pünktlich zum Datum seiner brisanten Veröffentlichungen über US-Kriegsverbrechen im Irak vor 13 Jahren hat ein britisches Gericht der Auslieferungsforderung Washingtons nachgegeben.

Die australische Regierung wolle nun bei den USA intervenieren und um seine Freilassung bitten. "Genug ist genug", soll der neue australische Hochkommissar im Vereinigten Königreich Stephen Smith gesagt haben. Er möchte Großbritannien dazu bewegen, den Einspruch von Assange gegen die Auslieferung zu akzeptieren.

Wie alles begann …

Am 5. April 2010 hatte Assange, der Mitbegründer von WikiLeaks, erste Beweise eines Massakers an Zivilisten in einem Vorort von Bagdad während des Irak-Krieges veröffentlicht. Es handelte sich um ein Video, der von den beteiligten Soldaten aus einem Hubschrauber während der Tat gefilmt worden war. Anschließend veröffentlichte WikiLeaks Hunderte von geleakten Geheimdokumenten über US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan, auch über Umsturzversuche in Lateinamerika.

WikiLeaks hatte 2010 das Beweismaterial der Ermordung durch US-Soldaten nach sorgfältiger Prüfung herausgebracht. Ein Whistleblower aus inneren Militärkreisen hatte dem kritischen Internet-Portal diese Beweise, die als "Top Secret" klassifiziert gewesen waren, zur Verfügung gestellt.

Die Täter müssen damals im Auftrag – oder auf Befehl – gehandelt haben. Sie hatten das Massaker an zwölf Zivilisten als Beweis der vollbrachten Tat aus der Luft gefilmt. Es gibt keine andere Erklärung.

Militärische Angriffe auf Journalisten

Unter den Opfern waren zwei Berichterstatter der Nachrichtenagentur Reuters, herbeigeeilte Rettungsleute und Kinder. In den Jahren der US-Besatzung des Irak war es lebensgefährlich, als Kriegsberichterstatter zu arbeiten. Zwischen 2003 und 2009 waren 139 Journalisten getötet worden.

Einige damals noch kritische Medien wie der Spiegel oder die Deutsche Welle  hatten berichtet, wie ein Panzer der US-Armee auf das Hotel Palestine geschossen hatte, in dem fast alle ausländischen Journalisten untergebracht gewesen waren. Dabei waren zwei Kameramänner gestorben, mehrere Journalisten waren schwer verletzt worden.

Kurz darauf erfolgte der Beschuss des kritischen arabischen Senders Al Jazeera durch das US-Militär, bei dem ebenfalls Mitarbeiter starben. Der Kameramann Mazen Dana wurde im selben Jahr während seiner Arbeit von einem amerikanischen Soldaten erschossen, auch der Kameramann Waleed Khaled im August von US-Soldaten. Laut dem damaligen Bericht der Deutschen Welle kamen mindestens 18 internationale Journalisten durch US-Kräfte ums Leben. Niemand wurde jemals dafür zur Verantwortung gezogen.

Trotz des Versuchs von Reuters, durch ein juristisches Verfahren auf legalem Weg in Besitz des gefilmten Beweismaterials zu kommen und damit ein juristisches Untersuchungsverfahren einzuleiten, blieb dieser Weg bis heute versperrt.  

Juristische Absicherung von Angriffen auf Zivilpersonen

Stattdessen erklärte das Pentagon, es sei nicht bekannt, wie die Zivilisten getötet wurden. Alle tödlichen Angriffe auf Pressemitarbeiter wurden grundsätzlich damit gerechtfertigt, dass sie im Einklang mit dem US-Gesetz über bewaffnete Konflikte und den für den Irakkrieg extra erstellten "Rules of Engagement" standen. Diese geheimen Einsatzregeln fordern die US-Soldaten zwar auf, zivile Einrichtungen und Zivilpersonen zu respektieren, rechtfertigen jedoch gleichzeitig Ausnahmen. Wörtlich:

"zur Selbstverteidigung, um sich selbst, die eigene Militäreinheit, befreundete Kräfte und bestimmte Personen oder Eigentum unter Ihrer Kontrolle zu schützen."

WikiLeaks veröffentlichte auf seiner Webseite diese Einsatznormen und eine kritische Analyse ("Die Grenzen der individuellen Moral"), da diese Ausnahmen die Angriffe auf Zivilpersonen rechtlich absichern. Gleichzeitig versicherte WikiLeaks: "Wir haben die Informationen zu diesem Vorfall aus verschiedenen Quellen analysiert. Wir haben mit Zeugen gesprochen, die direkt an dem Vorfall beteiligt waren."

Die Befehle von oben

Es gab mehrere militärische Informanten, die weitere Dokumente lieferten. Ethan McCord, ein direkt an der Tat beteiligter Soldat, erklärte im Jahr 2010 auf einer Pressekonferenz dazu:

"Wenn Sie sich in irgendeiner Weise bedroht fühlen, können Sie diese Person ansprechen. Viele Soldaten fühlten sich allein dadurch bedroht, dass man sie ansah, also feuerten sie ihre Waffen auf jeden ab, der sie ansah, weil sie sich bedroht fühlten. Uns wurde gesagt, wenn wir auf jemanden schießen und wenn es untersucht werden sollte, werden sich Beamte um uns kümmern."

"Uns wurde von unserem Bataillonskommandeur befohlen, jeden Scheißkerl auf der Straße zu töten. Viele Soldaten wollten das nicht tun, wir beschlossen, auf die Dächer von Gebäuden zu schießen, denn wenn Sie nicht feuerten, würden Ihnen die Unteroffiziere in Ihrer Abteilung das Leben zur Hölle machen."

"Dies geschah täglich, die Zerstörung von Transportern voller Kinder, die Zerstörung von irakischen Leuten, das geschah täglich."   

Wie das US-Portal LewRockwell.com im Jahr 2019 berichtete, war Assange bei mehreren Verhören durch Mitarbeiter der US-Regierung, des Verteidigungsministeriums, des FBI und der CIA gewaltsam unter Drogen gesetzt worden, noch bevor eine Auslieferung entschieden wurde. Die Psychodroge sei 3-Chinuclidinylbenzilatgewesen, bekannt unter der Abkürzung BZ.

Assange habe sich danach eine zeitlang im Gefängnishospital unter ärztlicher Beobachtung befunden, weil er unter schweren vorübergehenden psychotischen Episoden gelitten habe. Die BBC, der Guardian und andere bekannte Medien bestätigten Assanges kritischen Gesundheitszustand.

UN-Sonderberichterstatter für Folter

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter Nils Melzer hat seine Besorgnis über die anhaltende Verschlechterung von Assanges Gesundheitszustand seit seiner Festnahme und Inhaftierung zum Ausdruck gebracht und erklärt, dessen Leben sei in Gefahr.

"Herr Assange wurde am 11. April 2019 in ein britisches Hochsicherheitsgefängnis gebracht, wo er weiterhin im Zusammenhang mit einem US-Auslieferungsersuchen wegen Spionage festgehalten wird, weil er Beweise für US-Kriegsverbrechen und anderes Fehlverhalten im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hatte. Während die US-Regierung Herrn Assange wegen der Veröffentlichung von Informationen über schwere Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Folter und Mord, strafrechtlich verfolgt, genießen die für diese Verbrechen verantwortlichen Beamten weiterhin Straffreiheit", erklärte Melzer.

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