Deutschland

Ruinöse Sozialpolitik: Sozialverband warnt vor Hunger in Deutschland

Lebensmittel sind so teuer wie nie, ausgewogene Ernährung wird zum Luxus für Gutverdiener. Die Armutskonferenz in Niedersachsen warnt vor steigender Ernährungsarmut und Mangelerkrankungen in Deutschland. Die Regierung dürfe das nicht länger ignorieren und müsse handeln.
Ruinöse Sozialpolitik: Sozialverband warnt vor Hunger in DeutschlandQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/www.imago-images.de

Von Susan Bonath

In Deutschland müsse niemand hungern. Diesen Slogan bedienen betuchtere Gesellschaftsschichten aus Politik und Wirtschaft gerne, wenn es darum geht, den Armen ans Leder zu gehen. Ganz anders schätzt die Landesarmutskonferenz Niedersachsen die Situation ein. Wegen des enormen Anstiegs der Preise für Lebensmittel sieht ihr Geschäftsführer, Klaus-Dieter Gleitze, Millionen Menschen in die Ernährungsarmut schlittern. Mit anderen Worten: Im wohlhabenden Deutschland breitet sich ganz unten der Hunger aus.

Hunger in Deutschland?

Die Grundsicherung – dazu gehören Bürgergeld, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungen – definiert das Existenzminimum in Deutschland. Wer arbeitet und weniger verdient, hat den Anspruch, damit aufzustocken. Die Freibeträge sorgen dafür, dass Arbeitende immer mehr in der Tasche haben. Das Problem: Die Grundsicherungssätze fangen nicht ansatzweise die Inflation ab. Seit Jahren hinken sie immer stärker der Teuerung hinterher. Betroffene können sich von Jahr zu Jahr weniger kaufen. Die Inflation verschärft das Problem dramatisch.

Gleitze warnte gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) vor weitreichenden Folgen. Während der Gesetzgeber die Mindestsicherung ab Januar um gerade einmal gut zehn Prozent angehoben hat, seien die Lebensmittelpreise binnen Jahresfrist doppelt so stark gestiegen. Und ein Ende sei nicht abzusehen. Schon vor der Preisexplosion 2021 hätten Millionen Menschen am Essen sparen müssen. Nun verschärfe sich die Situation massiv: "Es geht ans Eingemachte, und das in einer der reichsten Gesellschaften der Erde", sagte er und warnte vor zunehmenden Mangelerkrankungen.

Schon vor einigen Tagen hatte die niedersächsische Landesarmutskonferenz – nicht zum ersten Mal – auf die Abwärtsspirale in Bezug auf Armut hingewiesen. In einer Pressemitteilung vom 10. März warf Gleitze der Politik vor, sie weigere sich seit vielen Jahren, Armut in Deutschland nachhaltig zu bekämpfen. Wörtlich teilte er mit:

"Drastisch stiegen die Preise für Nahrungsmittel. Dafür geben Arme einen Großteil ihres Budgets aus, so dass sie immer häufiger zu Tafeln gehen müssen. Die haben allerdings immer öfter einen Aufnahmestopp, da auch sie von der Krise überfordert sind. Mittlerweile hungern und frieren immer mehr Menschen in unserem Land."

Dies, so Gleitze, sorge auch in der Mitte der Gesellschaft für wachsende Angst vor dem sozialen Absturz. Sein Verein fordere von der Politik endlich wirksame Maßnahmen, die am Ende der ganzen Gesellschaft zugutekämen: Die Grundsicherung, also das politisch bezifferte Existenzminimum, müsse umgehend um 200 Euro pro Person und Monat erhöht werden. Für Kinder und Jugendliche seien armutsfeste Regelsätze notwendig, für Langzeit-Erwerbslose ein echter sozialer Arbeitsmarkt.

Gleitze forderte zudem ein bezahlbares "Mobilitätsticket" für neun Euro. So könnten auch materiell Benachteiligte zum Beispiel einen Arbeitsplatz erreichen. Finanzieren könne man dies unter anderem durch eine Vermögenssteuer für Superreiche. Wer viel besitze, müsse sich "angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligen", so Gleitze.

Grundnahrungsmittel besonders teuer 

Am stärksten verteuert haben sich ausgerechnet die Grundnahrungsmittel, auch in den Discountern, auf die Ärmere angewiesen sind. Zugleich kosten Heizung und Strom weiterhin so viel wie nie zuvor. Die Energie-Preisbremsen sind bei vielen Verbrauchern entweder noch nicht angekommen oder wirken sich kaum aus.

Laut des Marktforschungsinstituts Nielsen IQ verzichten deshalb immer mehr Bundesbürger auf höherwertige Lebensmittel. Auch regionale Bioprodukte werden, entgegen dem bisherigen Trend, zu Ladenhütern. Den meisten Leuten fehlt offenbar zunehmend das Geld dafür.

Wie stark die Preise für einzelne Nahrungsmittel tatsächlich gestiegen sind, zeigt eine Tabelle des Statistischen Bundesamtes, die hier heruntergeladen werden kann. Im Februar dieses Jahres kostete das Essen demnach fast 21 Prozent mehr als vor einem Jahr. Einige Grundnahrungsmittel sind noch viel teurer geworden.

So stieg binnen Jahresfrist der Preis für Zucker zum Beispiel um 70 Prozent, der Preis für Pflanzenöl um 60 Prozent. Käse, Quark und Margarine verteuerten sich um 43 Prozent, Molkereiprodukte und Eier um fast 36 Prozent. Kartoffeln und Brot kosteten rund ein Viertel mehr als im Frühjahr 2022.

Im Vergleich zum Jahr 2020 fällt der Preisanstieg demzufolge noch drastischer aus. Er betrug insgesamt rund 30 Prozent. Pflanzenöl verteuerte sich auf mehr als das Doppelte, Milchprodukte um fast 50 Prozent, Brot, Pasta und Gemüse um mehr als ein Drittel. Im gleichen Zeitraum hob die Politik die Grundsicherungssätze aber nur um ganze 16 Prozent an. Von 2020 bis Ende 2022 stiegen sie sogar nur um weniger als vier Prozent.

Dabei kosteten Lebensmittel bereits im Oktober vergangenen Jahres fast 23 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Die Teuerungsraten von Grundnahrungsmitteln wie Mehl, Nudeln, Eiern und Milchprodukten (36 Prozent), Butter (60 Prozent), Margarine (50 Prozent) und Pflanzenöl (108 Prozent) stachen damals schon besonders hervor.

Existenziell unzureichendes Minimum

Dass die Grundsicherung immer weiter hinter den Preisanstiegen zurückbleibt, sieht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nicht als Problem an. In den vergangenen Monaten teilte es mehrfach auf Anfrage der Autorin mit, dass Betroffene diese Kosten angeblich aus dem Regelsatz abfedern könnten. Alleinstehende Bezieher von Bürgergeld oder etwa Sozialhilfe im Alter erhalten aktuell monatlich 502 Euro zum Leben. Kleinkindern gewährt der Staat lediglich 318 Euro – inklusive Kindergeld.

Der vom Gesetzgeber berechnete Anteil für die Ernährung macht jedoch mehr als ein Drittel dieses Budgets aus. Außerdem sind die meisten anderen Kosten ebenfalls gestiegen, die aus dem Satz bezahlt werden müssen, zum Beispiel für Strom, Nahverkehr und so weiter. Wie RT DE berichtete, erkennen Sozialämter und Jobcenter häufig nicht einmal die gestiegenen Abschläge für die Heizkosten an. Auch das müssen Betroffene dann aus diesem Budget finanzieren, fürs Essen bleibt dann nicht mehr viel übrig.

Die Armutsquote dürfte seit dem letzten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes für das Jahr 2021 weiter gestiegen sein. Der Verband hatte Anfang März seinen Bericht vom Vorjahr korrigiert. Demnach waren schon vor zwei Jahren über 14 Millionen Bundesbürger arm.

Lohndrückerei mit niedriger Sozialhilfe

Das immer mehr gedrosselte Existenzminimum wirkt sich negativ auf die Löhne und Gehälter aus. Senkt die Politik das Budget ab, sinkt auch der Anreiz für Unternehmen, die Einkommen ihrer Beschäftigten angemessen anzuheben oder auch nur der Inflation entsprechend anzupassen. Das spiegelt die Realität deutlich wider: Im Jahr 2022 sanken die Reallöhne laut Statistischem Bundesamt zum dritten Mal in Folge, diesmal um mehr als drei Prozent.

Wo die Kaufkraft schwindet, den Ärmsten sogar Hunger und Obdachlosigkeit droht, wachsen soziale Spannungen und letztlich auch die Kriminalitätsrate. Dieser Zusammenhang ist erwiesen. Dagegen helfen auch keine Moralfloskeln einer Regierung, die Abermilliarden in Rüstungs-, Pharma- und Energiekonzerne pumpt, aber wenig bis nichts für den sozialen Ausgleich übrig hat.

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